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Orphan Drugs

01.03.2016

Orphan Diseases und Orphan Drugs: Welchen Wert hat Seltenheit?

Seit 2007 findet jedes Jahr am letzten Tag des Februars der „Rare Disease Day“ (Tag der seltenen Erkrankungen) statt. Das Hauptanliegen dieses Aktionstages ist es, das Bewusstsein für seltene Erkrankungen und deren Einfluss auf das Leben der Betroffenen bei der Bevölkerung und bei Entscheidungsträgern zu stärken.

Seltene Erkrankungen sind häufig

Laut Schätzungen sind heute weltweit ca. 6000 bis 8000 seltene Erkrankungen bekannt. Um in der EU als Orphan Disease zu gelten, darf eine Erkrankung nicht mehr als 1 von 2000 Menschen betreffen. In den USA ist eine Erkrankung selten, wenn zu keinem Zeitpunkt mehr als 200.000 der insgesamt ca. 320 Millionen US-Amerikaner an ihr leiden. Durch die Vielzahl der inzwischen bekannten seltenen Erkrankungen sind allerdings insgesamt viele Patienten betroffen. Allein in Deutschland sind es etwa 4 Millionen, in der EU geschätzte 30 Millionen Menschen.

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Der lange Weg zur Diagnose

Patienten mit einer seltenen Erkrankung erhalten häufig erst viele Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome eine korrekte Diagnose. In der Zwischenzeit fühlen sie sich von ihren Ärzten oft missverstanden oder vernachlässigt. Selbst nach der Diagnose geht der Leidensweg meist weiter: Wegen der geringen Fallzahlen ist nur wenig über die Symptome, Ursachen, Behandlung und Prognosen bekannt, und es stehen kaum Arzneimittel zur Verfügung.

Seit 2009 sollen spezielle Zentren für seltene Erkrankungen (ZSE) diesen Patienten in Deutschland schneller helfen. Die aktuell 25 Zentren koordinieren die Spezialambulanzen innerhalb ihrer Universitäts-Klinik und sind auch untereinander vernetzt. Außerdem können Datenbanken für seltene Erkrankungen wie www.orpha.net mit digital verfügbaren Informationen dabei helfen, ausgefallene Symptome zu erkennen.

Das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen (NAMSE) steuert seit 2010 deutschlandweit die Schritte eines Aktionsplans, um die Situation für die Betroffenen weiter zu verbessern.

Arzneimittelforschung zu Orphan Drugs

Lange Zeit galt die Arzneimittelforschung im Bereich der „Waisenkinder der Medizin“ als unrentabel und schwer durchführbar. Wenn Medikamente nur einigen Hundert Patienten nützen können, lohnt sich der hohe finanzielle und bürokratische Aufwand für Pharmaunternehmen oft nicht. Und wenn nur wenige Patienten mit der entsprechenden Erkrankung rekrutiert werden können, müssen klinische Studien international und multizentrisch durchgeführt werden, was sie aufwendiger und langwieriger macht.

Die EU-Verordnung zu Orphan Drugs im Jahr 2000 ermöglichte Pharmaunternehmen einen leichteren und kostengünstigeren Marktzugang für solche Arzneimittel und brachte damit einen deutlichen Wandel: In den vergangenen 15 Jahren wurden immerhin 117 Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen zugelassen.

Trotz Sonderstatus im AMNOG – Uneinigkeit zwischen Pharmaunternehmen und Kassen auch bei Orphan Drugs

Im Vergleich zu anderen Arzneimitteln durchlaufen Orphan Drugs ein etwas vereinfachtes AMNOG-Verfahren: Zwar werden ebenso umfangreiche Dossiers benötigt, der prinzipielle Zusatznutzen gilt aber bereits mit der Zulassung als belegt. Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet nur über das Ausmaß des Zusatznutzens.

Erst wenn ein als Orphan Drug zugelassenes Arzneimittel den GKV-Jahresumsatz von 50 Millionen Euro überschreitet, wird eine vollständige AMNOG-Bewertung fällig. Dies soll unter anderem die den Pharmaunternehmen von den Kassen unterstellte vorsätzliche „Orphanisierung“ bzw. das „Slicing“ eindämmen: Darunter versteht man die Zulassung eines Arzneimittels für eine sehr eng definierte Indikation, die anschließend nach und nach um weitere eng definierte Indikationen erweitert wird.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hält dagegen, dass solche Fälle eine Ausnahme sind und klinische Studien zu Orphan Drugs die Hersteller weiterhin herausfordern. Für jede neue Indikation müssen neue klinische Studien durchgeführt werden, so dass der Aufwand für jede Zulassungserweiterung gleich hoch bleibt. Nur in Bezug auf die Sicherheit des Arzneimittels darf auf Vorerfahrungen zurückgegriffen werden.

Auch in puncto Kosten gehen die Meinungen zwischen Kassen und Pharmaunternehmen nach wie vor auseinander. Während die Kassen überzogene Preise für Orphan Drugs kritisieren, entgegnen der BPI und der Verband der forschenden Arzneimittelunternehmen vfa, dass Orphan Drugs als Nischenpräparate nur 3,3 Prozent aller GKV-Arzneimittelausgaben und damit weniger als 10 Millionen Euro pro Jahr ausmachen.

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